Autofotografie
Bei dieser Methode geht es darum, eine Sammlung von Eindrücken darüber zu erhalten, was Kinder selbst in ihrer Lebenswelt wichtig finden, wie sie bestimmt Orte und Räume bewerten. Damit soll eine Aufmerksamkeit für die Kindern eigene Interpretation ihrer Lebenswelt geweckt werden.
pädagogisch geschulte Fachkräfte
Leitungsteam
in der Gesamtgruppe
mit Kindern und Jugendlichen in Dialog und Kontakt treten
Einblicke in die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen erhalten
Bewertung der Lebenswelt aus Sicht der Kinder und Jugendlichen
Das Kinderzentrum Gräselberg der Stadt Wiesbaden führte im Rahmen einer Konzeptentwicklung die Methode der Autofotografie im Rahmen eines Projektes zur Erforschung der Lebenswelt von Kindern auf dem Gräselberg (Stadtteil von Wiesbaden) durch.
10 Kinder bekamen für eine Woche eine Fotokamera ausgehändigt. Sie sollten damit Orte und Dinge fotografieren, die ihnen wichtig sind.
Als Motivation und Rahmen-geschichte diente "die Tante aus Amerika", ein fiktive Person, der die Kinder eine Fotogeschichte ihres Stadtteil vorstellten sollte.
Dazu wurden folgende Vorgaben im Rahmen von halben Sätzen gemacht, die durch die entsprechenden Fotos vervollständigt werden sollten:
- Wenn ich draußen spiele dann gehe ich meistens dahin
- Hierher gehe ich nicht gerne spielen
- Diese Orte auf dem Gräselberg dürfen niemals verändert werden (zugebaut, abgerissen usw.)
- An diesen Orten nerven uns die Großen
- Hier würde ich gerne spielen, darf aber nicht (verboten, die Erwachsenen vertreiben uns usw.)
- Wenn es draußen dunkel wird, habe ich ein bisschen Angst wenn ich hier vorbei muss
Die Kinder kamen gut mit den Kameras und dem Fotografieren zurecht und machten insgesamt 270 Fotos, die dann noch in Gruppendiskussionen mit den Kindern ausgewertet, erklärt und kommentiert wurden.
Die Auswertung der Gespräche kann zu Aufschlüssen über Spiel- und Streifräume der Kinder führen; sie vermittelt auch etwas über die Bedeutung der Orte, Personen, Gegenstände.
Mögliche Auswertungsfragen:
- Welche Perspektive wurde fotografiert (nah, fern?),
- Wie ist die Integration des Bildes?
- Wie selbst-repräsentativ ist das Bild?
- Welche Aktivitäten vermittelt das Bild, wie ist der Re-flexionsgrad des Bildes?
- Hat das Bild Erinnerungswert?
- Hat das Bild symbolischen Wert?
Die Ergebnisse wurden mit ausgewählten Fotos auf Fotowänden präsentiert, in der Sparkasse, an Schulen und an anderen Orten. Die kindliche Sichtweise der Lebensbedingungen auf dem Gräselberg wurde sehr deutlich, auch in einer zum Teil sehr eigenen Interpretation.
So wird z.B. eine ausgesprochen hässliche Betonbrücke, die den Stadtteil mit dem übrigen Stadtgebiet verbindet so kommentiert: "Über diese Brücke fährt mein Vater zur Arbeit und wir alle in den Urlaub!"
Die spezielle Sichtweise der Kinder bezeichnete aber auch Problemfelder und Themen, die bisher unbekannt waren. So gab es durch verschiedene Fotos Hinweise auf einen Angstbereich für Kinder zwischen zwei Schulen. Eine dieser Schulen wird von behinderten Kindern und Jugendlichen besucht und in zahlreichen Fotos werden Angst und Unverständnis formuliert, etwa in folgendem Ausspruch:
"Hier hat mir mal ein Behinderter hinterhergeschrieen".
Dieses Thema war den Mitarbeiterinnen der Kindereinrichtung, aber auch den Lehrerinnen an den beiden Schulen bisher so nicht deutlich und es entstand daraus ein Projekt, um die Ängste der Kinder abzubauen und die behinderten Kinder stärker in das Leben im Stadtteil zu integrieren. Ein weiteres Ergebnis zielte auf eine intensive Zusammenarbeit zwischen Kindereinrichtung und Schulen, denen die Ergebnisse ebenfalls präsentiert wurden, sodass es zu zahlreichen Projekten und Aktionen kam.
Nach einer relativ kurzen Einführung können Kinder und Jugendliche diese Methode innerhalb weniger Tage, maximal einer Woche durchführen und die Fotos von ihrer Lebenswelt machen. Nach der Entwicklung und Vergrößerung besteht dann noch ein wichtiger Schritt in dem gemeinsamen Anschauen der Fotos, der Kommentierung einzelner Fotos durch die Kinder und Jugendlichen sowie einem Gruppengespräch. Von Anfang bis Ende, d.h. bis zur Präsentation der fertigen Fotos, sollte ein Zeitaufwand von vier Wochen eingerechnet werden.
Bei der Auswertung ist besonders wichtig, die Kinder und Jugendlichen zum Sprechen zu bringen und nicht eigene Interpretationen der Fotos vorschnell vorzunehmen. Gerade in den Kommentaren liegt die besondere Chance, die spezifischen Interpretationen ihrer Lebenswelten einzufangen.
Der Auswertungsaufwand ist nicht zu gering einzuschätzen, weil es hier auch nach den Gruppendiskussionen in Kommentaren der Kinder und Jugendlichen darum geht, die Informationen z.B. im Rahmen einer Sozialraumanalyse so aufzubereiten, dass die Ergebnisse zusammengefasst werden können. Es macht wenig Sinn, wenn hinterher 100 Fotos mit 100 verschiedenen Kommentaren eine solche Fülle von Eindrücken widerspiegeln, dass diese nicht weiter verarbeitet werden können.
Die Moderatorinnen und Moderatoren müssen in der Lage sein, Kinder und Jugendliche für diese Methode "gut anzuwärmen", d.h. mit Hilfe einer Rahmengeschichte etc. eine Motivation herstellen und die Kinder und Jugendlichen damit so zu instruieren, dass diese die Fragestellung umsetzen können.
Die Methode ist im Rahmen einer sozialräumlichen Konzeptentwicklung aber auch einer Sozialraumanalyse wichtig, damit nicht die Sichtweisen von Erwachsenen und Experten einzig und allein die Interpretation bestimmen.
Kinder und Jugendliche werden mit Hilfe dieser Methode zu ExpertInnen ihres Sozialraumes gemacht, weil ihre Perspektive, ihre Sichtweisen etc. im Vordergrund stehen. Die Methode geht davon aus, dass es zwischen Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen deutliche Unterschiede in der Bewertung, aber auch schon in der Wahrnehmung ihrer Lebenswelt gibt. Während Erwachsene eher funktional ihre Lebenswelt nach bestimmten Sinnzusammenhängen und funktionalen Bedeutungen bewerten, ist eine solche Bewertung aus Sicht von Kindern und Jugendlichen oft nach ganz anderen Kriterien geordnet. Schon der Weg zur Schule wird nicht unbedingt nach dem Kriterium der schnellstmöglichen Überwindung einer Strecke angelegt, sondern entpuppt sich beim näheren Hinsehen vielleicht als abenteuerlicher Weg mit interessanten - für Erwachsene nicht sichtbaren - Orten.
Im Mittelpunkt steht das Medium der Fotografie, d.h. die Interpretation der Fotos durch die Kinder und durch die Erwachsenen. Ein wesentlicher Schritt sind auch Gespräche mit Kindern und Jugendlichen, um deren Eindrücke in Erfahrung zu bringen.