Kinderrechte in Deutschland
Engagement – Information – Vernetzung

Maike Simla

Projektleitung Kinderrechteschulen

030 - 30 86 93-62
Umfragewerte aus der Praxis

Aktuelle Evaluation: Gelingensbedingungen für die Verankerung von Kinderrechten in Grundschulen

Das Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration (DESI) hat im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes unter Kindern und Erwachsenen eine Erhebung durchgeführt, um die Bedingungen für eine nachhaltige Verankerung von Kinderrechten an Grundschulen zu definieren.

Die Befragung erfolgte im Rahmen des Projekts “Kinderrechteschulen”. Das Modellschulnetzwerk der Kinderrechteschulen des Deutschen Kinderhilfswerkes besteht aktuell aus fünfzehn Grundschulen in acht Bundesländern. Im Rahmen des Projekts machten sich ausgewählte Schulen seit 2013 auf den Weg, die Kinderrechte im Unterricht altersgerecht zu vermitteln und gemeinsam mit den Schüler*innen im Alltag der Einrichtungen zu leben. Für die Evaluation wurden von November 2020 bis März 2021 an zehn der Kinderrechte-Modellschulen 74 Kinder und 84 Erwachsene befragt. Die meisten Kinder sind Klassensprecher*innen und kommen überwiegend aus der 3. oder 4. Klasse. Die Gruppe der Erwachsenen setzt sich aus Eltern, Lehrkräften, Schulleitungen, pädagogischen Fachkräften und Ganztagsleitungen zusammen. Ziel der Erhebungen in den Einrichtungen war es herauszuarbeiten, welche Bedingungen es konkret braucht, um Kinderrechte an Grundschulen nachhaltig zu verankern. Des Weiteren ging es darum herauszufinden, an welchen Stellen in diesem Prozess besondere Herausforderungen auftreten (können).

Die Evaluation setzt sich aus einem quantitativen und einem qualitativen Teil zusammen. Der quantitative Teil beinhaltet die standardisierte Befragung mithilfe von Online-Fragebögen. Diese werden durch individuelle Interviews und Gruppendiskussionen, dem qualitativen Teil, ergänzt.

Ausgewählte Ergebnisse

Für eine nachhaltige Verankerung  braucht es die Verwirklichung der Kinderrechte auf allen drei Ebenen des Schulkontext: Struktur, Haltung und Praxis.

Struktur: Organisationsstrukturen müssen transparent und verbindlich anhand der Kinderrechte ausgerichtet werden.

Haltung: Die Schulgemeinschaft teilt das Verständnis um die Kinderrechte und alle Akteursgruppen agieren gemeinsam.

Praxis: Partizipation muss als Praxis im Schulalltag gelebt werden.

Befragung von Kindern und Erwachsenen: Inwieweit sind die Kinderrechte an ihren Schulen verankert?

Aus den Antworten auf die standardisierten Fragebögen lässt sich festhalten, dass die Kinderrechte an den Grundschulen weitestgehend verankert sind.

Die Kinderrechteschulen haben sich den Auftrag gegeben, Schüler*innen ihre eigenen Rechte innerhalb einer Demokratie nahezubringen. Ein großer Erfolg des Projekts zeigt sich darin, dass sowohl die befragten Kinder als auch die Erwachsenen bestätigen, dass das Wohl des Kindes in den Schulen immer an erster Stelle steht. Des Weiteren stützt sich das Projekt auf hohe Zustimmungswerteund Unterstützung vonseiten der Erwachsenen und vonseiten der Kinder. Weitere Gemeinsamkeiten in den Antworten von Erwachsenen und Kindern betrifft die Bewertung des (guten) Umgangs miteinander, die Akzeptanz und Verständlichkeit von Regeln, die Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren der Kinder und die gemeinsame Überzeugung, dass die Kinderrechteschulen die Chancengleichheit fördern.

Nichtsdestotrotz deckt die Umfrage auch Unterschiede in der kindlichen und der erwachsenen Wahrnehmung auf. Die Kinder schätzen die Infrastruktur und Ausstattung der Schulen positiver ein als die Erwachsenen. Letztere bewerten die Materialien zu Kinderrechten hingegen besser. Ein Großteil der Erwachsenen sieht noch Verbesserungsbedarf in der Konfliktbewältigung, beispielsweise durch mehr Zeitressourcen. Die Kinder hingegen sehen Entwicklungspotenzial im Hort und Ganztag: hier sollten die Kinderrechte mehr thematisiert werden.

Kinder und Erwachsene wurden zu den Themenblöcken “individuelle Bezüge zum Projekt”, “Umgang miteinander”, “rund um den Unterricht”, “Ausstattung und Infrastruktur” sowie “Regeln und Mitgestalten” befragt. 

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Perspektive der Schulleitungen: Die zentrale Bedeutung von abgesicherten Strukturen

In den Interviews mit den Schulleitungen wird die Relevanz und Notwendigkeit, Partizipationsmöglichkeiten strukturell und konzeptionell abzusichern, betont. Denn Kinder wollen ihren Lebensort Schule mitgestalten und nutzen die Möglichkeit, sofern klar ist, an wen sie sich wenden können. Erst wenn es fest in der Schulstruktur eingeschriebene Mitbestimmungsformate gibt, klare Ansprechpartner*innen und Zuständigkeiten, sowie eingeübte Partizipationspraxen, sind die Kinderrechte nicht von Willkür und Engagement einzelner Personen abhängig.

Ist dies erreicht, dann führt auch in Gremien der Erwachsenen kein Weg daran vorbei und es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Kinder ihren Anspruch an Beteiligung wahrnehmen. Eine strukturelle Verankerung hilft auch in der Kommunikation mit den Eltern, um zu zeigen: Kinderrechte sind universell und auch in der Familie gültig.

Zentrale Bedingungen für die nachhaltige Verankerung von Kinderrechten an Grundschulen

Laut den quantitativen Ergebnissen der Umfrage schätzen die Erwachsenen für eine feste Verankerung der Kinderrechte an der Schule vor allem besonders engagierte Personen (75%), eine Kultur der Offenheit und Partizipation (50%) und regelmäßige Gemeinschaftsaktionen (26%) als maßgebend ein.

Doch darüber hinaus definierten die qualitativen Interviews mit den Fachkräften, Lehrkräften und Eltern vier weitere Aspekte, die ausschlaggebend für eine nachhaltige Verankerung der Kinderrechte sind:

  1. Kinderrechte durch gelebte Demokratie
    Alle Befragten unterstreichen, wie wichtig es ist, Kindern tatsächlich Verantwortung zu übertragen und Demokratie als gemeinsam gelebtes Prinzip einzuführen. Für eine echte Beteiligung ist es auch nötig Fehler zu machen, Regeln und Kompromisse selbst auszuhandeln und eigenständig Entscheidungen treffen. Erwachsene sollen hierbei beratend und unterstützend auftreten. Wichtig ist hier also, dass es sich nicht um eine Scheinpartizipation (d.h. die Auswahlmöglichkeit zwischen zwei vorgegebenen Alternativen) handelt sowie, dass nicht trotzdem am Ende die Erwachsenen die Entscheidungen treffen.
  2. Offenes Eintreten bei Kinderrechtsverletzungen
    Um sich sowohl nach innen als auch nach außen für die Kinderrechte einzusetzen, braucht es ein Kinderrechteschutzkonzept, eine Ansprechperson für Beschwerden und eine grundlegende Sensibilisierung für die Rechte von Kindern und mögliche Rechtsverletzungen.
  3. Sichtbarkeit und Transparenz der Kinderrechte
    Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Kinderrechten und die Rechte selbst, sollen im Alltag der Schule sichtbar gemacht werden. So wird nicht nur das Wissen um die Kinderrechte vermittelt, sondern es entsteht, auch über den Schulkontext hinaus, ein Austausch darüber. Die Kinderrechte bleiben somit stets präsent.
  4. Engagement vieler Akteur*innen und gemeinsames Verständnis einer Kinderrechteschule
    Die befragten Erwachsenen erklären, dass eine Bedingung für die nachhaltige Verankerung von Kinderrechten die Einbindung und das Engagement aller Akteursgruppen ist. Es müssen alle Gruppen, das heißt Kinder, Lehrkräfte, Fachkräfte, Eltern, Schulsozialarbeit und Schulleitung informiert sein, das Projekt unterstützen und sich einbringen. Hierbei helfen Schulungen für alle Akteure und der Austausch untereinander. Zudem braucht es ein gemeinsames Verständnis darüber, was es bedeutet, eine Kinderrechteschule zu sein. Denn es geht hier um eine grundsätzliche Haltung und die gemeinsame Werteorientierung. Die Veränderungen brauchen Zeit und so bezieht sich die Bezeichnung „Kinderrechteschule sein“ nicht auf ein Endergebnis, sondern vielmehr auf einen fortwährenden Prozess.

Herausforderungen auf dem Weg der nachhaltigen Verankerung von Kinderrechten an Grundschulen

Die Erwachsenen der Umfrage (Fachkräfte, Lehrkräfte und Eltern) betonen besonders diese Aspekte für eine nachhaltige Verankerung der Kinderrechte an Grundschulen:

  • Beteiligung aller Akteursgruppen
    Eine klare Herausforderung stellt die Beteiligung aller Kinder an Entscheidungsprozessen dar. Die Kinder, die aufgrund von geringen Sprachkenntnissen wenig verstehen oder solche Kinder mit Förderschwerpunkt, denen es schwer fällt konzentriert zu bleiben.  Es bleibt eine Herausforderung, allen Kindern die Möglichkeit zu geben, sich einbringen zu können, ohne den Prozess überfordernd zu gestalten.
  • Das Pandemie-Geschehen
    Die Befragten betonen ebenso den massiven Einfluss der Corona-Pandemie auf den Schulalltag sowie auf die Beteiligungsprozesse und Beschwerdeverfahren. So ist es herausfordernd, für besonders gefährdete Kinder sowohl den gesundheitlichen Schutz als auch die Beteiligung an Entscheidungen aufrechtzuerhalten.
  • Zeitliche Ressourcen und räumliche Gegebenheiten
    Zum einen ist im Lehrplan zu wenig Zeit vorgesehen für die Beschäftigung der Themen und Konflikte der Kinder. So ist die Behandlung dieser Punkte abhängig von dem Engagement einzelner Personen in deren Freizeit. Zum anderen fehlen besonders in der Schulsozialarbeit finanzielle Ressourcen. Ebenso fehlt es an Räumlichkeiten beispielsweise für die Versammlung eines Schülerparlaments.