Linda Zaiane
Leiterin Koordinierungsstelle Kinderrechte, Referentin Kinderrechte
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Kinderrechte ins Grundgesetz
eindeutige Antwort
Ja! Denn die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz macht daraus eine moderne, zukunftsorientierte Verfassung und setzt gleichzeitig ein Zeichen, welche Bedeutung Kindern und Jugendlichen und deren Belangen beigemessen wird.
Die UN-Kinderrechtskonvention gilt in Deutschland seit 1992 – aber vollständig umgesetzt ist sie immer noch nicht. Insbesondere bei Entscheidungen von Politik, Verwaltung und Rechtssprechung werden die Rechte der Kinder und Jugendlichen noch viel zu wenig berücksichtigt.
Breites Bündnis
Bereits im Jahr 2007 startete deshalb das Aktionsbündnis Kinderrechte – Deutsches Kinderhilfswerk, Deutscher Kinderschutzbund, UNICEF Deutschland - die Kampagne Kinderrechte ins Grundgesetz. Anlässlich des Weltkindertages 2007 demonstrierten Kinder und Jugendliche vor dem Berliner Reichstag für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz und bekamen prominente Unterstützung, unter anderem von Schauspielerin Katja Riemann.
Seit 2010 ist die Deutsche Liga für das Kind Kooperationspartner der Kampagne.
Auf der Seite www.kinderrechte-ins-grundgesetz.de finden Interessierte mehr Informationen zum Aktionsbündnis Kinderrechte.
Aktueller Stand zur Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD aus dem Jahr 2018 sah erstmalig die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz vor. Für eine Grundgesetzänderung ist eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat erforderlich. 2021 brachte die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzesentwurf zur Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ein.
Das Aktionsbündnis Kinderrechte begrüßte zwar, dass die Bundesregierung sich nach zähem Ringen auf einen gemeinsamen Formulierungsvorschlag geeinigt hatte. Aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes sowie einer Vielzahl anderer politischer und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen war der Vorschlag allerdings unzureichend. Dies betraf beispielsweise die Formulierungen zum Kindeswohl sowie zum Recht des Kindes auf Beteiligung, die hinter der UN-Kinderrechtskonvention und auch hinter der geltenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückblieben.
Aufnahme gescheitert
Am 8. Juni 2021 scheiterte die von der Großen Koalition vereinbarte Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz für diese Legislaturperiode. Die abschließende Verhandlungsrunde mit Vertretenden der Bundestagsfraktionen zu den beschriebenen Formulierungen zum Kindeswohl und zum Recht des Kindes auf Beteiligung war ohne Ergebnis geblieben.
Das Scheitern der Verhandlungen über die Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz ist ein herber Dämpfer für die Kinder, Jugendlichen und Familien unseres Landes, die in der Corona-Pandemie ohnehin schon zu wenig Unterstützung erfahren haben. Kinder und ihre Familien hätten mehr Kompromissbereitschaft und Rückhalt über alle Parteien hinweg verdient. Mit dem Scheitern des Vorhabens wurde eine historische Chance verpasst, die Rechte von Kindern nachhaltig zu stärken.
Neuer Koalitionsvertrag
Es ist zu begrüßen, dass sich die neue Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz zum Ziel gesetzt hat. Dabei möchte sie sich ausweislich ihres Koalitionsvertrages maßgeblich an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) orientieren.
Gemeinsam mit vielen Partnerorganisationen setzt sich das Deutsche Kinderhilfswerk dafür ein, dass der neue Formulierungsvorschlag dem Anspruch der UN-Kinderrechtskonvention wirklich gerecht wird. Das Kindeswohl muss ein vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt sein, wenn auch nicht immer Vorrang haben. Dieses Ansinnen muss auch in der Formulierung für die Grundgesetzesänderung zum Ausdruck kommen. Darüber hinaus darf die Beteiligung von Kindern sich nicht auf das rechtliche Gehör beschränken, sondern muss als umfassendes Beteiligungsrecht formuliert werden.
Gutachten: Verfassungsrechtliche Verankerung von Kinderrechten und Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten des Europarats
Das Gutachten von Prof. Julia Sloth-Nielsen und Michelle Oliel vergleicht die Art und Weise, wie andere Mitgliedstaaten des Europarats zentrale Aspekte der Rechte des Kindes in ihre Verfassungen aufgenommen haben. Es untersucht die Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Kinderrechten in der inländischen Gerichtsbarkeit und erläutert die Methoden, anhand derer die Mitgliedstaaten die UN-Kinderrechtskonvention in ihre normativen Rahmenwerke einbinden.
Sie können das Gutachten hier auf Deutsch und auf Englisch herunterladen.
Warum sollten Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden?
Kinder können - anders als alle anderen Grundrechtsträger - ihre Rechte an vielen Stellen nicht selbst einfordern. Ferner können sie sich weder auf eine Interessensvertretung analog dem Wehrbeauftragten noch auf ein Verbandsklagerecht wie in Umweltbelangen stützen. Daher ist es wichtig, dass Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aller drei Staatsgewalten ihre Rechte beachten. Aktuelle Rechtsgutachten, wie das Gutachten von Prof. Hofmann und Dr. Donath und zwei Gutachten, die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums entstanden sind, beweisen jedoch, dass es ein eklatantes Umsetzungsdefizit gibt.
Die Interessen der Kinder und Jugendlichen dürfen darüber hinaus auch im Hinblick auf eine zukunftsfähige Gesellschaft nicht außer Acht gelassen werden. Schließlich entspricht eine starke Subjektstellung von Kindern einem veränderten gesellschaftlichen Verständnis. Dieses sollte sich auch im Grundgesetz niederschlagen, das in den letzten Jahrzehnten unzählige Male an aktuelle Bedingungen angepasst wurde.
Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb nun ausgerechnet bei den Kindern das Argument einer schlanken Verfassung hochgehalten wird, zumal jeder Mensch das Stadium der Kindheit durchläuft.
Warum sollten die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden? Ein Argumentationsleitfaden zum Herunterladen
Was bringen Kinderrechte im Grundgesetz den Kindern?
a. Vorrang des Kindeswohls
Die Aufnahme der Kinderrechte als Grundrecht in das Grundgesetz würde vor allem sehr viel stärker als bislang die Verantwortung von Staat und Eltern verdeutlichen, sich bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten gegenüber Kindern am Vorrang des Kindeswohls zu orientieren.
Das gilt für Entscheidungen von Behörden – etwa bei der Planung von Wohnvierteln, beim Straßenbau oder der Ausgestaltung des Lehrplans – und ebenso für Entscheidungen der Eltern für eine bestimmte Schule oder Betreuungsform. Berücksichtigt die Behörde das Kindeswohl bei der Ermessensausübung, übersieht sie dabei aber, dass das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen und mit einer abstrakten Priorisierung ausgestattet ist, dann ist auch diese Entscheidung ermessensfehlerhaft.
b. Den Staat in die Pflicht nehmen
Insgesamt würde der Staat stärker in die Pflicht genommen werden, wenn es um die Wahrnehmung seiner Verantwortung für kindgerechte Lebensverhältnisse und um gleiche Entwicklungschancen für alle Kinder und Jugendlichen geht.
Angesichts der aktuellen Debatten über eine viel zu hohe Kinderarmutsquote, unterschiedliche Bildungschancen, ein Auseinanderdriften der Gesellschaft in Reich und Arm und häufige Fälle von Vernachlässigung wäre dies ein wichtiges Signal.
c. Bessere Umsetzung der Kinderrechte in Rechtsprechung, Gesetzgebung und Verwaltung
Wenn die Kinderrechte ausdrücklich ins Grundgesetz aufgenommen werden, werden Maßnahmen frühzeitig im Gesetzesanwendungsprozess - sei es bei einer gerichtlichen Entscheidung, bei Gesetzgebungsprozessen auf verschiedenen Ebenen und in Verwaltungsprozessen – die Konsequenzen für die kindlichen Interessen beachten und Kinder stärker als bisher beteiligen.
Auch bei gerichtlichen Entscheidungen in unteren Instanzen müssten sich Gerichte an den in der Verfassung verankerten Grundrechten der Kinder orientieren und Kinder anhören – etwa bei der Abwägung des Rechtes auf Eigentum und der Grundrechte der Kinder in einem Bebauungsplanverfahren z.B. zur Errichtung einer Kindertagesstätte oder von Spielflächen für Kinder. Die Verankerung würde zu mehr Rechtssicherheit führen. Denn bisher bedarf es einer komplizierten Herleitung, um die Kinderrechte in das GG hineinzulesen. Das wird von Gesetzesanwenderinnen und Gesetzesanwendern oft nicht getan. Die Rechte der Kinder würden im Falle von Verletzungen auch bereits in unteren Instanzen besser durchgesetzbar und es würde nicht erst einer Klage bis zum Bundesverfassungsgericht bedürfen – eine deutliche Stärkung der Umsetzung von Kinderrechten in Deutschland.
d. Schutz der Kinder verbessern
Trotz wichtiger Reformen in der Vergangenheit kommt es immer wieder zu Gefährdungen durch Vernachlässigung oder Gewalt, sei es durch Überforderung der Eltern, durch eine Täterschaft anderer Privatpersonen oder durch Defizite in öffentlichen Institutionen. Eine Verankerung des Rechtes der Kinder auf Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung im Grundgesetz würde den Kinderschutz und das Recht der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung stärken.
Das Wohlergehen der Kinder ist häufig schon lange in Gefahr, bevor es zu unmittelbarer Gewalt oder extremen Formen der Vernachlässigung kommt. Hier würde eine Grundgesetzänderung Entscheidungsträger bei der Interessenabwägung im Sinne des Kindeswohls stärken.
e. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sicherstellen
Der UN-Ausschuss hat in seinen Empfehlungen noch einmal ausdrücklich auf die Verpflichtung nach der UN-Kinderrechtskonvention hingewiesen, dass die Berücksichtigung des Kindeswillens als eines von vier allgemeinen Prinzipien der Konvention umzusetzen ist.
Ihre Beteiligung ist ein zentraler Wert einer demokratischen Gesellschaft. Diese Maxime sollte das Leitbild sowohl für das staatliche als auch das gesellschaftliche Handeln in ganz Deutschland sein. Bisher sind die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ein Flickenteppich und entsprechen nicht durchgängig den Standards der UN-Kinderrechtskonvention. Damit Kinder- und Jugendbeteiligung nicht willkürlich ermöglicht oder verweigert wird, muss sie im Grundgesetz Einzug finden.
f. Rechte und Pflichten der Eltern klären
Eine Änderung des Grundgesetzes würde außerdem deutlich machen, dass die im Artikel 6 verankerten Befugnisse der Eltern gegenüber ihren Kindern vor allem das Recht der Kinder auf Erziehung und Pflege sichern sollen.
Eltern müssen bei der Ausübung ihres Rechtes mit abnehmender Bedürftigkeit und wachsender Einsichtsfähigkeit der Kinder deren Rechte berücksichtigen, sie als eigenständige Persönlichkeiten wahrnehmen und sie an allen sie betreffenden Entscheidungen beteiligen.
g. Signal für die gesamte Gesellschaft
Dass Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit eigenen Rechten zu achten und in der Gesellschaft zu beteiligen sind, entspricht noch nicht durchgängig der allgemeinen öffentlichen Meinung, geschweige denn der täglichen Praxis in Elternhaus, Schule, öffentlichen Einrichtungen sowie Verwaltung und Politik.
Schon die Diskussion um eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz zeigt, wie wichtig es ist, die allgemeine Öffentlichkeit mit den Kinderrechten vertrauter zu machen. Dies würde durch eine Grundgesetzänderung noch verstärkt.
h. Schritt von internationaler Bedeutung
Die Verankerung der Kinderrechte im deutschen Grundgesetz hätte Signalwirkung. Zwar haben alle Staaten der Welt – mit Ausnahme der USA – die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Dennoch mangelt es international an gesetzlicher Umsetzung.
Aber es gibt Bewegung: So haben beispielsweise Norwegen, Belgien, Irland, Spanien, Österreich und Südafrika ihre Verfassungen dahingehend geändert, dass sie nunmehr explizit auf die Rechte der Kinder nach der UN-Kinderrechtskonvention hinweisen bzw. ihre Grundprinzipien verankern. Auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union räumt ihnen in Artikel 24 diese Rechte ein.